von Jule Beck

Chemnitz grünt – und das an allen Ecken und Enden. Oder etwa nicht? Flächen werden aufgebrochen, Bäume gepflanzt, Blühflächen angelegt – aber um der Klima- und Biodiversitätskrise entgegenzuwirken und vor allem nachhaltig Stadtnatur zu schaffen, braucht es noch etwas mehr als ein paar gutgemeinte Blühstreifen am Straßenrand.
Vor allem in der Stadt, genau dort, wo eigentlich kein Platz für Natur scheint, ist Grün nämlich umso wichtiger.

So ist es gut, dass immer mehr Menschen verstehen, dass wir weg vom konventionellen Denken sollten, dass wir Visionen brauchen – und kreativ werden müssen. Denn Platz ist da, wir müssen ihn nur richtig nutzen. Beispielsweise indem wir mehr in die Höhe, aber auch in die Vertikale denken.

Und auch Chemnitz scheint genau dies umzusetzen: So wird immer mehr auf Dächer- und Fassadenbegrünung gesetzt.

Erst kürzlich eröffnet, zählt dazu der Dachgarten auf dem Wirkbau. Das ca. 1500m² große Areal ist der derzeit größte Dachgarten der Stadt. Mit Bäumen, Sträuchern und sogar einer Blühwiese mit zusätzlichen ca. 2700m² vereint er verschiedenste Teile der Natur direkt im Herzen eines Gebäudes. Dabei machen die Bepflanzungen nicht vor dem Ende des Gebäudes halt, sondern erstrecken sich sogar bis aufs Nachbargebäude.

Ein Dachgarten entsteht … (Chemnitz grünt, 2022)

Und das ist gut, denn je mehr davon, desto besser: Denn diese grünen Dächer bieten unter anderem die Möglichkeit der Niederschlagsaufnahme, da Pflanzen und Erde Feuchtigkeit aufnehmen und speichern. Zudem leisten sie einen erheblichen Beitrag zur Abkühlung aufgeheizter Städte durch die erfolgende Verdunstung. Außerdem ermöglichen diese kleinen Teile der Stadtnatur sowohl Nahrungs- als auch Lebensraum für Tiere und Insekten. Die Ökologie sei neben der Nutzbarkeit des Gartens ohnehin ein wichtiger Punkt gewesen, so Bertram Schultze, Geschäftsführer von MIB Coloured Fields GmbH, welche für die Umsetzung des Projekts zuständig war. So wurde nicht nur auf insektenfreundliche Pflanzen, sondern auch in Zukunft auf deren besondere Pflege geachtet. Neben Blühwiesen wurden unter anderem auch Totholzbereiche angelegt und Wasserlinsen für Vögel aufgestellt.

Aber nicht nur Klima- und Umweltschutz wird damit betrieben, nein – auch ist Stadtnatur ein wichtiger Bestandteil des menschlichen Lebens. Solche grünen Oasen fördern unsere Gesundheit und Lebensqualität. Und so ist es nicht verwunderlich, dass der Dachgarten sowohl für Besucher*innen öffentlich als Rückzugsort zugänglich ist, als auch für Mieteinheiten des Wirkbaus offensteht. So lässt sich dort wunderbar entweder während der Pausenzeit einfach mal abschalten oder aber auch direkt die Arbeit ins Grüne verlegen.

Eröffnung des Dachgartens auf dem Wirkbau (Chemnitz grünt, 2022)

Gegenwind hätte es im Übrigen keinen gegeben, so Bertram Schultze. „Ganz im Gegenteil waren von Anfang an alle begeistert von der Idee und von der Tatsache, dass jene nun tatsächlich umgesetzt wird.“

Gefördert wurde das Vorhaben „Dach- und Fassadenbegrünung im Wirkbau Chemnitz“ aus dem Konjunkturprogramm „Nachhaltig aus der Krise“ des Staatsministeriums für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft. Diese Maßnahme wurde mitfinanziert mit Steuermitteln auf Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.

Der fertiggestellte Dachgarten – ein schöner Ausblick aus den angrenzenden Arbeitsräumen (Chemnitz grünt, 2022)

Aber nicht nur die arbeitende Bevölkerung soll von hohen Gärten profitieren, auch Kindern und Jugendlichen bieten solche Projekte vielerlei Möglichkeiten.

Bei der neu gebauten Grundschule Jacobstraße versuchte man möglichst viele davon zu vereinen: So entstand für die zukünftigen Schüler*innen in luftiger Höhe nicht nur ein Rückzugsort, sondern gleichzeitig auch ein Spielplatz, Pausenhof und Schulgarten. Denn bei der Planung der beiden Gebäude (Schule und Sporthalle) war von Beginn an klar: Es gibt ringsum nicht genügend Platz für eine große Grünfläche. Die Lösung allerdings war schnell gefunden, denn auf dem Dach des großen Neubaus war genau dieser vorhanden.

2018 begannen hierzu die Planungen, im Mai 2020 beschloss der Stadtrat den Bau der Schule. Bis Ende diesen Jahres nun soll das Projekt komplett abgeschlossen werden. 2023/24 starten dann die ersten ABC-Schützen, zur Zeit werden in der Schule auf dem südlichen Sonnenberg noch Flüchtlinge aus der Ukraine beschult.

Und auch auf diesem grünen Dach wird versucht, nicht nur das Platzproblem anzugehen, sondern auch einen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten. So setzte man vor allem auf heimische Pflanzen, und achtet nun auf deren artgerechte und insektenfreundliche Pflege. Diese soll vor allem in den Händen der Kinder und Pädagog*innen der Schule liegen.

Zu allem bereits vorhandenen bietet das Dach außerdem vielfältige Ausbaumöglichkeiten: So können noch verschiedene weitere Beete angelegt, über eine Wetterstation oder Sternwarte nachgedacht oder das Gelände gar um eine Photovoltaik-Anlage erweitert werden.

Ausschnitt aus dem Gestaltungsplan Freianlagen (sLandArt im Auftrag der Stadt Chemnitz, 2020)

Und trotz mancher kritischer Stimmen erhielt auch dieses Projekt vor allem Zuspruch, so Susann Einhorn, Projektleiterin vom Gebäudemanagement und Hochbau der Stadt Chemnitz. Die bauliche Umsetzung lief einwandfrei, von Problemen gibt es nichts zu berichten.

Ob es in Zukunft noch weitere solcher grünen Dächer für Chemnitz geben wird? Man kann nur hoffen. Die Beteiligten der bisherigen Maßnahmen jedenfalls klingen neuen Projekten gegenüber aufgeschlossen. Bleibt also nur die Frage, welches Dach als nächstes das Glück hat, begrünt zu werden.