von Florian Etterer
„WE PARAPOM! – europäische Parade der Apfelbäume“ ist eines der zentralen Kulturhauptstadtprojekte. Das Apfelthema hat sicherlich das Potenzial die unterschiedlichsten Menschen unserer Stadtgesellschaft mitzunehmen. Ob jung oder alt, Punk oder Bänker, Ökoaktivistin oder Schreibtischtäter – die Paradiesfrucht hat überall Anhänger*innen.
Aber irgendwie konnte die Parade noch nicht so richtig zum Grooven kommen. Seit geraumer Zeit hört man auch negative Stimmen zum Projekt und manche bezeichnen es bereits als gescheitert. Okay – der Start war auch aus meiner Sicht nicht gerade gelungen. Aber es ist noch viel zu früh, um dieses Projekt schon abzuschreiben. Dafür ist das Thema auch viel zu schön. Also lasst uns lieber darüber diskutieren, wie wir die Parade der Apfelbäume zum Grooven bringen.
WE PARAPOM! ist ein sehr komplexes Kunstprojekt das von der österreichischen Künstlerin Barbara Holub konzipiert wurde. Es ist eher ein Programm mit mehreren Teilprojekten und verschiedenen Leitthemen. Daher ist es erstmal gar nicht so einfach zu durchdringen. Noch dazu wird es als offener, partizipativer künstlerischer Prozess umgesetzt. Es steht also noch gar nicht so genau fest, welche künstlerischen Aktionen auf uns warten. Dementsprechend ist die Pflanzung von 2.000 x 2 Apfelbäumen auch als ein gesellschaftliches Experiment anzusehen. Niemand kann mit Sicherheit vorhersagen, ob und bis wann es gelingen wird, die große Zahl an Bäumen in Chemnitz zu pflanzen. Dies sieht übrigens auch Barbara Holub so und die Pflanzungen sollen daher weit über 2025 hinaus fortgesetzt werden.
Ich bin zuversichtlich, dass uns dieser künstlerische Prozess mehrmals überraschen und auch Spaß machen wird. Aber das setzt erstmal Offenheit gegenüber Kunst voraus. Wir müssen uns auf die Kunst einlassen. Diese Bereitschaft kann aber Kunst nicht aus sich selbst heraus erzeugen – zumindest nicht bei allen Menschen.
Menschen agieren in der Regel vor dem Horizont ihrer persönlichen Erfahrungen. Diese Erkenntnis ist meiner Meinung nach entscheidend für eine möglichst fruchtbare Umsetzung der Apfelbaumparade. Nun haben nicht jede und jeder gleich einen Zugang zu künstlerischen Formaten und die Geschmäcker sind glücklicherweise auch verschieden. Aber der Apfelbaum hat eine Frucht, die besonders vielen Menschen schmeckt. Daher hat der Apfel in Chemnitz (und natürlich auch an ganz vielen anderen Orten) eine besonders reiche Geschichte, die sich aus zahlreichen persönlichen wie gemeinschaftlichen, kleinen wie großen, erfolgreichen und zum Teil auch gescheiterten Projekten speist. Der Apfel als Thema bewegt ganz viele Menschen.
Daher wäre es aus meiner Sicht sinnvoller gewesen, das Projekt mit populäreren Veranstaltungsformaten – zum Beispiel mit einem Apfelfest – zu starten, die möglichst viele Chemnitzer Bürger*innen ansprechen und erstmal „nur“ Spaß machen. Das schafft Möglichkeiten zur Begegnung und fördert möglicherweise auch Offenheit gegenüber den bislang noch unbekannten künstlerischen Interventionen.
Außerdem muss sich auch WE PARAPOM! in die Chemnitzer Apfelgeschichte einordnen. Das kann beispielsweise durch ein Sichtbarmachen bisheriger Apfelprojekte und ihrer Menschen gelingen. Dies wäre auch ein schönes Zeichen von Wertschätzung. Wertschätzung ist im Bezug auf das Apfelthema besonders wichtig. Denn die Menschen, die sich für die Apfelkultur engagieren, tun dies eben nicht aus rein marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten, sondern weil sie ihrem Engagement einen ganz besonderen Wert zusprechen.
Möglicherweise sind derartige Vorschläge bereits in Vorbereitung. Seit Sommer diesen Jahres wird Barbara Holub durch Katja Manz unterstützt. Die Geografin lebt schon lange in Chemnitz und ist für die Zusammenarbeit mit der Stadtbevölkerung verantwortlich. Sie organisiert die gemeinschaftlichen Pflanzungen, ist Ansprechperson für Pat*innen und arbeitet an weiteren Formaten der Bürgerbeteiligung. Sie wird somit mit zahlreichen Fragestellungen konfrontiert, die für den langfristigen Erfolg der Pflanzungen ausschlaggebend sind. Daher bemüht sie sich auch um Lösungen zur langfristigen Sicherstellung der erforderlichen Pflegemaßnahmen und auch der Ernte.
Aber zunächst geht es um die Pflanzungen. Die Parade der Apfelbäume soll sich entlang einer festgelegten Route entfalten. Diese bewegt sich zickzackartig durch das Stadtgebiet. Ganz bewusst verläuft die Route vor allem durch die weniger wahrgenommenen Stadtteile und verknüpft diese mit dem Zentrum. Außerdem will Barbara Holub entlang des Verlaufs die städtebauliche Vielfalt von Chemnitz aufzeigen. Im vergangenen Herbst und Frühjahr gab es erste Initialpflanzungen. Die erste größere Pflanzaktion ist für 2023 in und um den Bürgerpark Gablenz geplant (siehe Chemnitz grünt 2021-2, S.18). Die Pflanzungen der verschiedenen Apfelbaumsorten erfolgen immer paarweise und sollen im Sinne einer Skulptur markant in Erscheinung treten. Wie viele Apfelbäume sich entlang der Route einreihen werden, ist letztlich auch von der Bereitschaft der verschiedenen Grundstückseigentümer abhängig. Abseits der Route gibt es zudem sogenannte Versammlungsplätze. In gemeinschaftlichen Aktionen wird dort eine größere Zahl von Apfelbäumen gepflanzt. Derartige Pflanzungen erfolgten vor wenigen Wochen in Hilbersdorf und Kleinolbersdorf. Um die Organisation und Voranzucht der bis zu 2.000 Apfelsorten kümmert sich insbesondere Reiner Amme vom BUND (siehe Chemnitz grünt 2022-01, S. 22). Im Hintergrund agiert noch Nino Micklich als Produktionsleiter. Er kümmert sich um das Budget, Materialien für die Kunst, Genehmigungen und vieles mehr. Zudem wird Barbara Holub von Sandy Becker kuratorisch unterstützt.
Bis zum Kulturhauptstadtjahr sollen ungefähr 15 Interventionen durch Künstler*innen aus OST und WEST realisiert werden. Inhaltlich befassen sie sich mit gesellschaftsrelevanten Fragestellungen zu Migration, Arbeitsbedingungen, gelebter Demokratie aber auch mit ökologischen Konflikten (z. B. Flächenversiegelung). Das Titelthema der PARADE ist mit der Brückenstraße und dem Karl-Marx-Monument im heutigen Stadtbild nach wie vor präsent. In der Vergangenheit standen Paraden für die Repräsentation von politischer Macht und erzwangen ein unfreiwilliges Zujubeln. Jüngere Paraden wie zum Christopher Street Day stehen hingegen für Emanzipation. Dementsprechend sollen auch die Apfelbäume eine lebensfrohe Parade bilden und auch gerne mal aus der Norm fallen.
Die einzelnen Kunstprojekte werden 2025 in einer Ausstellung zusammengeführt und durch zeitgenössische Kunstobjekte, Sichtweisen auf die Kulturgeschichte des Apfels und die der Parade ergänzt.
Für das kommende Jahr stehen drei künstlerische Interventionen in Gablenz und im Heckert-Gebiet fest. Drei weitere Projekte starten 2023 mit der Bearbeitung. Aufgrund des prozessualen Charakters ist noch nichts Genaueres zu den Kunstprojekten zu berichten, die auf uns warten. Also lassen wir uns überraschen.
Aber wann ist WE PARAPOM als Erfolg für Chemnitz zu werten?
Diese Frage lässt sich für mich nicht an der Zahl der gepflanzten Apfelbäume und Sorten bis 2025 festmachen. Wichtiger ist doch, dass die Bäume die gepflanzt werden, eine nachhaltige Perspektive erhalten. Der Standort muss geeignet und für die Pflege der Bäume und die Verwertung des Obstes gesorgt sein. Im öffentlichen Raum bin ich hinsichtlich der Nachhaltigkeit der Pflanzungen tatsächlich skeptisch. Das ist stark davon abhängig, wie viele Menschen eine Patenschaft übernehmen und wie deren Begleitung langfristig organisiert wird.
Möglicherweise brauchen wir für die nachhaltige Pflanzung der Apfelbäume mehr Zeit – mehr Zeit zum Sammeln von Praxiserfahrungen und für die Entwicklung von Strukturen. Es könnte aber auch passieren, dass die Zahl von 4.000 Apfelbäumen und 2.000 Sorten nicht erreicht werden kann. Aber auch das wäre nicht unbedingt ein Misserfolg.
Es geht doch gar nicht nur um die Bäume im physischen Sinne, sondern um die Beziehungen die durch sie geknüpft werden und welche Diskurse und Prozesse dadurch in der Stadtgesellschaft angestoßen werden. Ausschlaggebender ist also, wie viele Menschen und welche Bevölkerungsgruppen sich aktiv an WE PARAPOM! beteiligen werden. Dafür muss aber zunächst Offenheit für die Kunst generiert werden.
Kunst kann wichtige gesellschaftliche Impulse leisten und dadurch Dinge in Bewegung bringen. Sie kann aber keine Bäume pflanzen und pflegen. Das müssen schon wir Chemnitzer*innen tun.
Aber kombiniert mit Kunst könnte das richtig viel Spaß machen.
Kontakt zu WE PARAPOM!
weparapom.eu
weparapom[at]chemnitz2025.de